Donnerstag, 16. Dezember 2010

gedicht für die gedichte nicht lesen

wer ruft mit abgerissenem mund
aus der nebelkammer? wer schwimmt,
einen gummiring um den hals,
durch diese kochende lache
aus bockbier und blut?
                        er ist es,
für den ich dies in den staub ritze,
er, der es nicht entziffert.

wer ist ganz begraben von zeitungen
und von mist? wer hat uran im urin?
wer ist in den zähen geifer
der gremien eingenäht? wer
ist beschissen von blei?
                         siehe,
er ists, im genick die antenne,
der sprachlose fresser mit dem räudigen hirn.

was sind das für unbegreifliche ohren,
von wüstem zuckerguß triefend,
die sich in kurszettel wickeln
und in den registraturen staplen
zu tauben mürrischen bündeln?
                                   geneigte,
ohren verstörter verräter, zu denen
rede ich kalt wie die nacht und beharrlich.

(Hans Magnus Enzensberger, 1960)

2 Kommentare:

Sozialist hat gesagt…

Ist das nicht eine contradictio in adiecto? Ein Gedicht für Gedichtemuffel? Ein seltsamer Typ dieser Enzensberger...
Der kürzlich verstorbene Chotjewitz meinte über ihn: „Er war immer ängstlich bemüht, nicht der Mehrheit zu gefallen. Er ist ein Snob, ein politischer Dandy, ein Schaffner, der ruft: »Alles einsteigen!« und dann in den Gegenzug steigt, weil der so schön leer ist. Für ein selbstständiges intelligentes Denken spricht das nicht. Das macht ihn so glitschig.“

Anonym hat gesagt…

Nein, der Sozialst muss das falsch verstehen, weil er nur die Sttruktur sieht, weil er nur das System aber nicht das Individuum beobachtet, weil er die Ironie nicht erkennt, den hintersinnigen ideologiefreien Gedanken hinter dem Vorhang. Klar, das ganze steht im Widerspruch. Aber so läuft die Welt nunmal, die Enzensberger korrekt beschreibt. Er sieht die Welt wie siee nunmal ist. Und er elebet diesen Widerspruch! Woi ist das Problem? Mit Zitaen um sich schleudern ist noch lange keine Meinungsäußerung